Mehrsprachigkeit als gesellschaftliche Herausforderung. Zum angemessenen Umgang mit Mehrsprachigkeit im deutschen Bildungssystem

Gäste:

Prof. Dr. Dr. hc. Konrad Ehlich
Prof. Dr. Ingrid Gogolin
Rainer Langner (Niedersächsische Landesschulbehörde Hannover)
Miguel Souza

 

 

Die Situation in Deutschland ist geprägt durch eine Zwiespältigkeit gegenüber dem Phänomen der Mehrsprachigkeit. Einerseits versteht man sich als tolerantes, multikulturelles Land, das im Prozess des europäischen Zusammenwachsens durchaus eine Führungs- und Vorbildfunktion übernimmt. In diesem Zusammenhang wird nicht nur der Erhalt der deutschen Minderheitensprachen, sondern der Erwerb zumindest der wichtigsten europäischen Verkehrssprachen zum zentralen Anliegen der deutschen Sprachenpolitik. Andererseits findet man keine Möglichkeiten, die brachliegende Mehrsprachigkeit der Kinder mit Migrationshintergrund zu fördern. Mehr noch: die Ergebnisse der PISA-Studie weisen auf einen erhöhten Förderbedarf dieser Kinder in der deutschen Sprache hin, während der Erhalt der Muttersprache den Bildungserfolg nur wenig beeinflusst und somit zweitrangig wird. Gleichwohl gilt der Einsatz der Muttersprache im Förderunterricht der Zweitsprache Deutsch als effektives Mittel zur Vermittlung der Besonderheiten der deutschen Sprache und kann Ausdruck der Wertschätzung ausländischer Kinder sein. Auch monolingual deutschsprachige Schüler profitieren von einem Sprachunterricht, der kontrastiv und ergänzend Sprachstrukturen verschiedener Sprachen sichtbar macht und auf ein Leben in einem multikulturellen, mehrsprachigen Europa vorbereitet.

Die Schule steht damit – ziemlich allein – vor der Herausforderung, allen Kindern die deutsche Bildungsvarietät zu vermitteln und damit Bildungserfolg und angemessene Platzierung am Arbeitsmarkt zu ermöglichen, ohne dabei die Potenziale, die für Kinder mit und ohne Migrationshintergrund in der mitgebrachten Mehrsprachigkeit stecken, zu vernachlässigen oder gar abzulehnen. Erschwert wird diese Aufgabe durch ein Schulsystem, in dem die Chancen, die in der sozialen und kulturellen Heterogenität einer Schülerschaft mit hohem Migrantenanteil liegen, nicht genutzt, sondern zu Problemen um- bzw. fehlgedeutet und als solche den Haupt- und Förderschulen übergeben werden.

Demgegenüber gelingt es den erfolgreichen Bildungssystemen in der PISA-Studie, das vorhandene Motivationspotenzial von Migranten in allen Alterstufen zu identifizieren und durch differenzierte Fördermaßnahmen und Anforderungsprofile den Anschluss der Schüler mit Migrationshintergrund im nicht selektiven Schulsystem zu sichern. Dazu ist jedoch eine grundlegende Veränderung unseres Schulsystems erforderlich und in der Lehrerausbildung an den Hochschulen muss die Thematik in der Breite, über alle Fächergrenzen hinweg, vermittelt werden.

Welche Veränderungen im Einzelnen erforderlich und welche davon umsetzbar sind – darüber erhoffen wir uns von den geladenen ExpertInnen anregende Thesen und eine lebhafte Diskussion.

Diese Podiumsdiskussion findet statt in Kooperation mit der Gesellschaft für deutsche Sprache.